Anschlussbahn – eine juristische Bestandsaufnahme
25 Jahre nach der Bahnreform gibt es für den Betrieb, die Förderung und den Erhalt von Anschlussbahnen noch immer keine bundesweite gesetzliche Regelung.
Begriff und Rechtsfolge seiner Einordnung
Bis zur Bahnreform im Jahr 1994 war die Anschlussbahn ein Synonym für eine nicht-öffentliche Eisenbahn, welche an eine öffentliche Eisenbahn angeschlossen war. Für diese haben die Bundesländer, in den neuen Bundesländern die DDR, Bau- und Betriebsordnungen erlassen. Die Anforderungen waren geringer als die der Eisenbahnbau- und Betriebsordnungen des Bundes (nachfolgend EBO genannt).
Die Bundesländer als die für die nichtbundeseigenen Eisenbahnen zuständigen Gesetzgebungsorgane und Aufsichtsbehörden nutzten die Einstufung als Anschlussbahn oder öffentliche Eisenbahn als Differenzierungskriterium, ob es erforderlich ist, eine Eisenbahninfrastruktur und den darauf stattfindenden Eisenbahnbetrieb nach der EBO zu gestalten oder ob es ausreicht, die Eisenbahn nach der einfacheren Verordnungen für nichtöffentliche Eisenbahnen zu betreiben. Die Verordnungen der Länder für den Betrieb von nichtöffentlichen Eisenbahnen wurden als Bau- und Betriebsordnungen für Anschlussbahnen bezeichnet. Eine Anschlussbahn war daher eine Eisenbahn, für deren sicheren Bau und Betrieb die Einhaltung der EBO nicht erforderlich war. Es galten dann nach der damaligen Praxis der Landeseisenbahnaufsichten die Bau- und Betriebsordnungen der Länder.
Mit der Bahnreform wurde der Begriff der öffentlichen Eisenbahn nicht mehr technisch, sondern aus Wettbewerbsgesichtspunkten neu ausgelegt und erstmals auch gesetzlich definiert. Unter einer öffentlichen Eisenbahn ist heute eine Eisenbahninfrastruktur, die öffentlichen Eisenbahnverkehrsunternehmen einen diskriminierungsfreien Zugang gewähren muss und ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, welches auf der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur verkehren darf, zu verstehen. Alle Eisenbahninfrastrukturen, die nicht überwiegend Güter für ihr eigenes Unternehmen an- oder abliefern, sind öffentliche Eisenbahninfrastrukturen.
Die Einordnung, ob eine Eisenbahninfrastruktur öffentlich oder nicht öffentlich ist, kann daher nicht mehr als Differenzierungskriterium, ob es vertretbar ist, eine Eisenbahn mit einem niedrigeren als in der EBO dargestellten Standard zu betreiben, herangezogen werden.
Für Eisenbahnen, die vor dem 30. April 2005 genehmigt wurden, hat diese Differenzierung auf die Anwendung der EBO keine Auswirkung. Alle später genehmigten öffentlichen Eisenbahnen müssen zwingend nach EBO betrieben werden.
Aber auch in der EBO besteht die Möglichkeit einer Abweichung von den dort vorgesehenen Vorgaben, wenn auf anderer Weise der Betrieb sicher gewährleistet werden kann und eine Anwendung der EBO unwirtschaftlich ist. Selbst das Erfordernis der Stellung eines Eisenbahnbetriebsleiters nach der Eisenbahnbetriebsleiterverordnung ist bei einfachen Verhältnissen nicht zwingend vorgeschrieben.
Das Land Hessen reagierte bisher als einziges Bundesland auf die nunmehr seit 25 Jahren bestehende „neue“ Rechtslage und ersetzte die Bau- und Betriebsordnung für Anschlussbahnen durch eine analoge Anwendung der EBO. In allen anderen Bundesländern sind die Bau- und Betriebsordnungen für Anschlussbahnen, eingeschränkt durch das vorrangige Bundesrecht, weiterhin in Kraft.
Gibt man dem Wort Anschlussbahn im Verhältnis zur öffentlichen Eisenbahn eine eigenständige Bedeutung, so ist unter einer Anschlussbahn eine Eisenbahn zu verstehen, die an eine öffentliche Eisenbahn angeschlossen ist und bei der wegen der Fixierung auf den Schienengüterverkehr der ersten und letzten Meile derart einfache Bedingungen vorherrschen, dass Abweichungen von der EBO zulässig oder geboten sind. Weitet man diese Definition noch auf Wartungseinrichtungen für Schienenfahrzeuge aus, so stellt der Gleisanschluss ein Synonym für (öffentliche und nichtöffentliche) Serviceeinrichtung im Sinne des Eisenbahnregulierungsgesetzes dar.
Entwicklung der Gleisanschlüsse
Die Anzahl der Gleisanschlüsse auf dem Netz der Deutschen Bahn ging seit der Bahnreform im Jahr 1995 von 11.300 auf ca. 2.400 im Jahr 2017 zurück. Im gleichen Zeitraum wuchs der Schienengüterverkehr in Deutschland von 68 Mrd. tkm auf 129 Mrd. tkm.
Es stellt sich daher die Frage, warum trotz der Schrumpfung der Gleisanschlüsse um 80 % eine Verdoppelung der Verkehrsleistung möglich war.
Mit der Bahnreform wurden die Kosten transparenter und auch gerechter verteilt. Der Verkehrsträger Schiene kann auch seine Vorteile als energieeffizientes Massenverkehrsmittel besser ausspielen. Infrastrukturanschlüsse, die ohne oder ohne nennenswerten Verkehr betrieben wurden und deren Betriebskosten andere Nutzer des Schienengüterverkehrs durch eine Quersubventionierung erheblich belasteten, entfielen. Hierdurch wurden Spielräume für Preissenkungen frei, die wiederum zu einem Mehrverkehr von bahnaffinen Verkehren auf der Schiene führten.
Diese wettbewerbsorientierte Betrachtung einer Finanzierung von Infrastrukturanschlüssen wurde im Jahr 2016 nach einem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts über die Verteilung der Infrastrukturanschlusskosten weiter gestärkt. Danach hat der Anschlussbegehrende grundsätzlich alle Kosten des Infrastrukturanschlusses zu tragen. Die EVU als Nutzer der Infrastruktur dürfen danach nicht mehr zur Quersubventionierung von Infrastrukturanschlüssen über die Infrastrukturnutzungsentgelte zur Kasse gebeten werden.
Die klassische Anschlussbahn an die Infrastruktur des Bundes ist auch heute noch sinnvoll und bringt Verkehr auf die Schiene, wenn ein Basisvolumen gegeben ist, welches die Vorhaltung der Anschlussbahn einschließlich der Kosten des Infrastrukturanschlusses, der eigenen Schieneninfrastruktur, des Betriebspersonals und erforderlichenfalls der Rangiermittel rechtfertigt. Ausschlaggebend für die Entscheidung für den Bau und Betrieb einer Anschlussbahn ist der Gesamtpreis von der Beladung zur Entladung.
Ist erst einmal eine Basismenge durch eine florierende Anschlussbahn vorhanden, können an diese auch andere Anschlussbahnen mit weniger starken Aufkommen angeschlossen und auch wirtschaftlich betrieben werden. Der Nebenanschluss profitiert von niedrigeren Kosten des Infrastrukturanschlusses. Denn bei einem Nebenanschluss an eine Anschlussbahn entfallen die hohen Kosten der Einbindung in die Sicherungstechnik des öffentlichen Betreibers der Schienenwege. Rangierdienstleistungen sind preisgünstiger, da die Fixkosten zur Erbringung dieser Leistungen auf Hauptanschließer und Nebenanschließer verteilt werden können.
Neben der klassischen Anschlussbahn bieten Industrieparks, Häfen, Containerterminals und nichtbundeseigene Eisenbahnen ebenfalls die Möglichkeit einer kosteneffizienten Bahnanbindung. Anders als die öffentlichen Schienenwege der DB Netz AG dienen diese Infrastrukturen ausschließlich in Form einer Serviceeinrichtung dem Schienengüterverkehr und können ohne Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen für einen Personenverkehr betrieben werden.
Betrieb von Anschlussbahnen
Dem Anschlussbahnbetreiber stehen zur Sicherung und weiteren Entwicklung des Anschlussbahnbetriebes gesetzliche Werkzeuge wie die Verpflichtung zur Gewährung eines Infrastrukturanschlusses zu angemessenen Konditionen, der Übernahme von für die Anschlussbahn relevanter Infrastruktur vor deren Stilllegung, die Möglichkeit der Enteignung angrenzender Grundstücke für den Ausbau der Anschlussbahn und der Sicherung von vorübergehend nicht benötigten Flächen für den Anschlussbahnbetrieb durch die Widmung der Flächen für den Bahnbetrieb zur Verfügung.
Zunehmend hemmend auf die Entwicklung von Anschlussbahnen wirken sich die Vorgaben des Umweltschutzes und die lange Dauer der Planfeststellungsverfahren aus.
Bei Erneuerungen oder dem Neubau von Be- und Entladeanlagen sollten daher Auswirkungen auf angrenzende Wohngebiete und emissionsrechtlich besonders geschützte Einrichtungen berücksichtigt und erforderlichenfalls auf eine Begrenzung der Emissionen geachtet werden. Ausgleichsleistungen nach dem Bundesnaturschutzgesetz können vermieden werden, wenn die Wartung und Instandhaltung der Schieneninfrastruktur in einer Weise erfolgt, dass spätere Eingriffe in die Natur nicht erforderlich sind.
Aktuelle Förderpraxis der Anschlussbahnen
Zunächst stellt sich die Frage, welche Fördermaßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen von Anschlussbahnen in Betracht kommen. Die staatliche Förderung von Anschlussbahnen wird zwar immer wieder verlangt, ist aber nur rudimentär vorhanden. Eine Gleisanschlussförderung über die Gleisanschlussförderrichtlinie läuft durch die Erfordernisse zur Verpflichtung zur Verlagerung von Mehrmengen auf die Schiene, der Unwirtschaftlichkeit eines Bahntransportes ohne Förderung, der Verwendung von Neumaterial und der Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung durch den Anschlussbahnbetreiber weitgehend leer.
Mit dem Schienengüterfernverkehrsnetzförderungsgesetz besteht zumindest für öffentliche Anschlussbahnen die Möglichkeit einer Finanzierung von Ersatzmaßnahmen. Die Bundesländer fördern Anschlussbahnen nur sporadisch. Häufig scheitern die Programme an den Vorgaben der Europäischen Union für staatliche Förderprogramme. Die Bau- und Betriebsordnungen für Anschlussbahnen der Bundesländer stammen noch aus der Zeit vor der Bahnreform. Richtlinien der Bundesländer für Ausnahmen zur EBO bei einfachen Verhältnissen öffentlicher Eisenbahnen sind - nach inzwischen 25 Jahren Bahnreform! - nicht vorhanden.
Bedrohung bestehender Anschlussbahnen
Bestehende Anschlussbahnen sind insbesondere durch die Volatilität der Rahmenbedingungen und der Transportanforderungen bedroht.
Die Konkurrenzfähigkeit des Schienengüterverkehrs steht und fällt mit der Attraktivität des Hauptverkehrsträgers Straße. Ein niedriger Dieselpreis und Förderprogramme für den Straßengüterverkehr beeinträchtigen die Attraktivität des systembedingt mit deutlich weniger Energie auskommenden Verkehrsträgers Schiene.
Nicht immer rechnet sich, auch unter volkswirtschaftlichen Gründen, ein Bahntransport. Insbesondere bei kürzeren Distanzen und geringeren nicht bündelungsfähigen Mengen ist die Straße das betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich gesehen optimalere Verkehrsmittel. Bezieht z.B. die holzverarbeitende Industrie wegen des in den letzten Monaten verstärkt regional anfallenden Rohstoffes das Holz aus der Region, erfolgen die Transporte auf der Straße. Die Anschlussbahn wird für diese Transporte nicht benötigt. Ändern sich aber die Anforderungen wieder und wird das Holz aus weiter entfernten Regionen importiert, so ist ein Bahntransport das volkswirtschaftlich und auch betriebswirtschaftlich gesehen optimale Verkehrsmittel. Andernfalls fiel in den letzten Monaten in Deutschland so viel vom Rohstoff Holz an, dass Holz exportiert wird. Diese Transporte sind wiederum schienenaffin. Fällt eine Getreideernte regional schlecht aus, werden die Mühlen verstärkt über importiertes Getreide versorgt. Ein Bahntransport rechnet sich dann. Es hat aber keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, Getreide aus der unmittelbaren Nähe zur Mühle mit der Bahn zu transportieren. Bei einer guten Getreideernte entstehen Überschüsse. Es ist dann sinnvoll, das Getreide von einer Sammelstelle aus gebündelt auf die Bahn zu verladen, wenn es anschließend über einen längeren Weg über die Schiene befördert werden kann. Ähnliche Konstellationen gibt es in fast allen Wirtschaftszweigen.
Um bei den Schwankungen der Transportströme auch den Verkehrsträger Schiene berücksichtigen zu können, ist es daher erforderlich, Gleisanschlüsse auch dann vorzuhalten, wenn sich diese für einen Zeitraum nicht rechnen.
Das gleiche gilt bei nicht aktiven Anschlussbahnen, die aber bei einer Änderung der Rahmenbedingungen ein Potential für wirtschaftliche Bahntransporte haben.
Diese nicht aktiven Anschlussbahnen mit Reaktivierungspotential sollten so gestaltet werden, dass eine Reaktivierung ohne größeren Aufwand erfolgen kann.
Die Infrastrukturanschlussweichen zu diesen Infrastrukturanschlüssen sollten daher erhalten werden, wenn es zu keinen zusätzlichen Belastungen für das anschlussgewährende Eisenbahninfrastrukturunternehmen kommt oder der Gleisanschließer die durch eine Vorhaltung der stillgelegten, aber leicht reaktivierbaren Anschlussweiche entstehenden Kosten trägt.
Muss die Anschlussweiche jedoch ersetzt werden, ist möglicherweise ein Ausbau der Weiche mit Lückenschluss die auch volkswirtschaftlich beste Wahl. Das für den Infrastrukturanschluss benötigte Gelände ist weiterhin für den Bahnbetrieb gewidmet. Es sollten in einem solchen Fall bei einer Reaktivierung des Infrastrukturanschlusses die Möglichkeit eines Plangenehmigungsverfahrens anstelle eines Planfeststellungsverfahrens geschaffen werden. Gegenwärtig stehen zumindest bei länger nicht für Bahnbetriebszwecke genutzte Flächen die Belange des Umweltschutzes einem vereinfachten Plangenehmigungsverfahren entgegen.